Mai 2021 | 6 Minuten


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Die Remote-Praxisfirma: Erfahrungen von Coachs und Teilnehmenden

Im März 2020 mussten mehrere PF wegen der Gesundheitsmassnahmen vorübergehend schließen. Einige von ihnen haben das Homeoffice für Praktikanten und Coachs getestet. Wie war dies möglich? Was sind die Vor- und Nachteile? Zwei PF aus der Deutschschweiz und der Romandie berichten über ihre Erfahrungen.

Die Remote-Praxisfirma: Erfahrungen von Coachs und Teilnehmenden

Unsere Gesprächspartner seitens Coachs/Ausbildner

Stellensuchende und Personen aus der Invalidenversicherung sind die Hauptzielgruppen der beiden kaufmännischen Praxisfirmen.

S.Cerutti

Stéphane Cerutti

Sanytrade, Nyon

R.Gmunder

Roman Gmünder

B2B Cosmetics, Oberwil

Wie haben Sie darauf reagiert, als im März 2020 Ihre PF vorübergehend schliessen musste?

Stéphane Cerutti Zunächst haben wir eine Strategie mit praktisch umsetzbaren Lösungsansätzen entwickeln müssen, falls die Situation andauern oder sich wiederholen sollte. Oberste Priorität war die Implementierung einer Kommunikationsplattform. Wir haben uns für Zoom entschieden. Regelmäßige Videokonferenzen wurden mit unseren Praktikanten zur Kontaktpflege organisiert.

Roman Gmünder Die Zeit vor dem Lockdown haben wir dazu genutzt, verschiedene Szenarien und Möglichkeiten zu evaluieren. Ehrlich gesagt, hätten wir aber nie mit einem Lockdown und einer Schliessung gerechnet. Ein Kriterium war, dass wir irgendwie weitermachen konnten, weil unsere Kunden das wollten und wir unsere Teilnehmer in diesen turbulenten Zeiten mit unserem Auftrag und unserer Praxisfirma weiter begleiten wollten.

Als es im März mit dem Lockdown losging, wurde definiert, wie die aktuelle Situation im Betrieb aussieht und was für Sofortmassnahmen eingeleitet werden müssen, um sich den neuen Vorgaben des Bundes anzupassen. Das Ganze lief sehr ruhig ab. Bei RAV-Teilnehmern wurde die Massnahme abgebrochen. Die anderen versicherten Personen durften wir weiter begleiten.

Priorität war ein rasches Einrichten einer nutzbaren Infrastruktur fürs Home-Office durch die ICT und das Erstellen der Kommunikationsstrukturen mit den Ämtern. Entscheide haben wir rollend gefällt. Die Devise war, weiter ruhig mit den TN zu arbeiten und einfach irgendwie vorwärtszugehen.

Die Mitarbeiterplanung aber auch andere wichtige Details mussten umgehend geklärt werden. Dabei handelte es sich auch um Punkte, auf die man nicht bei erstem Hinsehen kommen könnte. So mussten wir zu Beispiel sehr schnell den Verschluss von Wertsachen und Verbrauchsmaterialien sicherstellen.

Der Übergang ins Home-Office verlief einfacher als gedacht. Bei fast allen funktionierte die Technik sehr gut und wir konnten nach einer Woche normal arbeiten. Damit sich die Teilnehmenden besser an die Technik gewöhnen, haben wir nicht nur zusammengearbeitet, sondern bewusst auch Kommunikationsplattformen eingerichtet. So konnten die Teilnehmenden auch neben den üblichen Geschäftsfällen informell miteinander kommunizieren.

Was mussten Sie zunächst umorganisieren, damit Ihre Praktikanten und Kollegen im Homeoffice arbeiten konnten?

S.Cerutti Der Zugriff auf den Remote-Server war für uns die Priorität, um im Homeoffice weiter arbeiten zu können. Dann wurden die Programme VMware und Zoom auf den PCs der Teilnehmenden installiert. Schließlich wurde die Prozedur zur Programminstallation und -nutzung erstellt und verteilt.

R.Gmünder Technisch gesehen, konnte schnell ein Remote-Arbeitsplatz am jeweiligen Wohnort eingerichtet werden. Das Einrichten der Zugänge für jeden Arbeitsplatz und die Erteilung der Berechtigungen durch die ICT wurden gewährleistet. Zudem erhielten die TN eine Anleitung, wie sie die benötigte Software einrichten konnten. Umorganisiert haben wir so wenig wie möglich. Wir wollten den Teilnehmenden die Sicherheit geben, dass möglichst viel in den bewährten Strukturen weiterläuft.

Wie haben Sie Ihre Praktikanten weiter motivieren können?

S.Cerutti Dies gehört voll und ganz zu unserem Beruf. Wir haben die Vorteile der Digitalarbeit, die in unserer Gesellschaft in der Praxis vermehrt umgesetzt wird, in den Vordergrund gestellt. Sie haben den Nutzen nachvollziehen und ihre Motivation bewahren können.

Wir haben auch Einkaufs- & Verkaufsaktivitäten mit anderen PF via Videokonferenzen organisiert und Vorstellungsgespräche auf Zoom simuliert. Durch zahlreiche Diskussionen wurde genau erklärt und überzeugend rübergebracht, dass die Aufgaben im Homeoffice genauso gleich durchgeführt werden wie in der Firma und dass wir sie weiterhin unterstützen und die Zusammenarbeit mit uns aufrechterhalten bleibt.

R.Gmünder Während des ersten Lockdowns haben wir nur Teilnehmende seitens der SVA betreut. Das war das Erstaunlichste. Diese waren sehr glücklich darüber, dass weiterhin eine Tagesstruktur vorhanden war und weiter an den persönlichen Zielen gearbeitet werden konnte. Zudem haben die Teilnehmer mehr Verantwortung und auch sehr abwechslungsreiche Arbeiten übernommen, was grundsätzlich sehr motivierend war.

Bewährt hat sich auch unser Café! Wir haben uns alle immer um 11.30 Uhr online getroffen und über den ersten Teil des Arbeitstages und die aktuelle Situation gesprochen. Teilnehmer konnten dort auch, zum Beispiel, ihr Hobby vorstellen und über andere Dinge, die sie beschäftigen, sprechen. Im Café erkannten die Teilnehmer, dass alle im gleichen Boot sitzen und wir fachlich in die gleiche Richtung wollen.

Unsicherheiten bestanden einzig bei unseren Lernenden – der Druck, nicht zu wissen, wie eine Prüfung aussieht, war immens. Da brauchte es viele Gespräche.

Teamwork spielt in der PF eine wichtige Rolle. Mit welchen Instrumenten haben Sie dies weiter umsetzen können?

S.Cerutti Hauptsächlich mit Zoom. Darüber hinaus haben wir eine interne Umfrage zum Thema Homeoffice zwecks Erfahrungsaustausch durchgeführt. Fazit: Die regelmässigen Sitzungen auf Zoom haben die Teilnehmenden sehr aufgemuntert. Jeder Abteilung ist ein virtueller Raum zugeteilt, damit man sich mit seinen Kollegen treffen kann. Außerdem wurden Konferenzräume und Cafeterias vorgesehen. Das freie Pendeln zwischen den Räumen ist den Teilnehmenden überlassen. Wir gehen regelmäßig in die Abteilungen vorbei, um mit den Teilnehmenden zu sprechen und um nachzusehen, ob alles ok ist.

R.Gmünder In erster Linie mit viel Eigenverantwortung und Vertrauen in die Teilnehmer, zwecks aktiver Mitarbeit in diesem neuen Online-Netzwerk.

Zudem mussten die Strukturen umgestaltet und auf das neue Mininetzwerk im Praxisfirmenumfeld angepasst werden. Dies stellte jeden Teilnehmer vor neue Herausforderungen und erweiterte die Handlungskompetenzen eines jeden Einzelnen.

Die Kommunikation ist elementar. Wir mussten darauf achten, dass wir stetig miteinander in Kontakt bleiben. Konkret fanden mehr regionale Firmen-, Abteilungs- und Teammeetings statt. Sämtliche Meetings fanden über Video-Telefonie statt. Zudem haben wir jeden Tag jeden TN fachlich begleitet. Es war sehr wichtig, dass die TN auch Raum hatten, individuelle Fragen zu stellen.

Kann der Lernprozess auch in der Remote-PF effizient garantiert werden?

S.Cerutti Ja, die Qualität bleibt konstant, vorausgesetzt, dass die dazu notwendigen Mittel zum normalen Ablauf verfügbar sind.

R.Gmünder Wichtig sind im Voraus vereinbarte Ziele. Wenn man keine Ziele hat, ist der Erfolg nicht messbar und allein zu Hause gehen die Teilnehmer unter.

Aufgrund der individuellen Zielsetzungen und der damit verbundenen Meetings von Seiten Fallführung und seitens der Fachbetreuungspersonen konnte der Lernprozess sichergestellt werden. Als zweites sind die oben bereits erwähnten täglich organisierten Teammeetings, wo man sich über den Stand der Arbeit, die anstehenden Aufgaben/Tätigkeiten und die Arbeitskoordination unterhielt, sehr wichtig.

Unsere Gesprächspartner
seitens Praktikanten

Maithé Skorupka

Sanytrade, Nyon

Sylvio*

B2B Cosmetics, Oberwil
*Deckname

Wie haben Sie darauf reagiert, im Homeoffice für eine unbestimmte Zeit arbeiten zu müssen?

M.Skorupka Die Meldung zur Telearbeit hat mich destabilisiert, da eines der Ziele dieser Maßnahme für mich war, mich wieder in den Arbeitsprozess & -rhythmus einzugewöhnen und mich sozial wieder einzugliedern. Der Zeitraum der Digitalarbeit wurde jedoch klar definiert, da die PF-Geschäftsleitung uns mitgeteilt hat, dass das Homeoffice auch nach der Pandemie Ein- bis Zweimal die Woche weiter bestehen wird.

Sylvio Ich war sehr neugierig neue Erfahrungen zu machen und mich neuen Herausforderungen zu stellen. Die Umstellung des Alltags oder machte mir Spass.

Konnten Sie trotz alledem Fortschritte im Lernprozess verzeichnen?

M.Skorupka Selbstverständlich. Da ich im Homeoffice sämtliche Arbeitsaufgaben, wie in der Firma, erledige.

Sylvio Am Anfang hatte ich tatsächlich noch Schwierigkeiten Fortschritte zu machen, da die Kommunikation nicht immer klappte. Dennoch kann ich heute bestätigen, dass ich mich sehr weiterentwickelt habe und viele neue Dinge dazu gelernt habe.

Wie konnten Sie Kontakte zu den anderen Praktikanten weiter pflegen?

M.Skorupka Dank Sitzungen via Zoom, in welchen ich zwischen den Abteilungen switchen kann und dank der vor der Pandemie implementierten Whatsapp-Gruppe „Sanytrade“.

Sylvio Dank digitalen Plattformen klappte die Kommunikation mit den anderen Praktikanten sehr gut.

Ist für Sie die Arbeit im Homeoffice zukunftsträchtig? Würden Sie gerne so öfter arbeiten?

M.Skorupka Ich gehe davon aus, dass das Homeoffice vermehrt umgesetzt wird – ich bevorzuge aber die Präsenzarbeit und die Interaktionen mit den Kollegen.

Sylvio Ich finde es sehr gut, dass wir heute die Möglichkeit haben, von zu Hause aus zu arbeiten. Somit haben alle die Möglichkeit, trotz gesundheitlicher Einschränkungen, zu arbeiten. Da es auch viel flexibler ist, kann ich mir eine solche Zukunft sehr gut vorstellen.

Wie bleiben Sie weiterhin motiviert? Was sind Ihre Tipps dazu?

M.Skorupka Die Motivation ist da. Die Coachs/Ausbildner sind sehr präsent. Es wird alles in Gang gesetzt, damit wir uns wohl fühlen. Wenn wir per Videokonferenz arbeiten, ist es nahezu wie in der Firma. Aus diesem Grund verlaufen die zwei Arbeitstage im Homeoffice wie in der Firma. Wir sind nicht gezwungen zu Hause zu bleiben. Mit den Aufgaben sind wir uns nicht selbst überlassen. Das ist sehr angenehm.

Sylvio Meine Tipps zum erfolgreichen Arbeiten von zu Hause aus sind: Täglich mit den anderen Mitarbeitern zu kommunizieren, einen genau strukturierten Arbeitsplan zu erstellen, einen ordentlichen Arbeitsplatz zu errichten und bei Schwierigkeiten nicht zu zögern, den Vorgesetzten zu kontaktieren.

Was hat der Helvartis-Hauptsitz initiiert?

Zu den aktuellen Projekten des Helvartis-Teams gehört die Erarbeitung sämtlicher notwendigen Instrumente zum Aufbau der Remote-PF. Die Vollzeit- oder Teilzeitarbeit im Homeoffice wird in den Firmen immer wichtiger und vermehrt umgesetzt. Daher müssen wir unsere Teilnehmenden und Coachs darauf vorbereiten, gemeinsam diesem Trend zu folgen, wobei die Qualität der Lernprozesse und die zwischenmenschlichen Beziehungen aufrechterhalten bleiben. In diesem Sinne wurden Arbeitsgruppen aufgebaut, um diese Arbeitsweise kurzfristig erfolgreich umsetzen zu können.

Interview von

Vânia Gonçalves
& Silvia Bärle


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