September 2024 | 10 Minuten
Falls das Arbeitsklima ungesund ist, wird es sich einerseits negativ auf das Wohlbefinden und auch auf die Arbeitszufriedenheit, die Zusammenarbeit und das Leistungsvermögen auswirken. Der Gesundheitszustand kann sich nach kurzer Zeit verschlechtern und darf nicht bagatellisiert werden. Ausschlaggebend sind nicht nur objektive Faktoren, sondern auch das subjektive Erleben der betroffenen Person. Frühere Untersuchungen belegen, dass bei Arbeitsbelästigung oder jegliche Form von Diskriminierung die Persönlichkeit des Angestellten wenig ins Gewicht fällt.
Dies wird als Verletzung der persönlichen Integrität bezeichnet. Diese zeichnet sich aus, über längere Zeit, durch anhaltend erniedrigende und respektlose Verhaltensweisen mit Schädigung des Selbstwertgefühls eines Menschen01. Laut einer Umfrage haben 2016 6,8% der Angestellten Einschüchterung, Belästigung und Mobbing, 4,8% verbale Gewalt und 3,7% Drohungen und Erniedrigungen erlebt. Diese Diskriminierungen sind eine der stärksten Belastungsfaktoren im Arbeitsleben. Der Schutz der persönlichen Integrität der Mitarbeitenden ist nicht nur aus ethischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen relevant.
Zu den Hauptformen gehören u.a. Mobbing, Bossing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung02. Eine davon ist der «Mobbing», oder Psychoterror, und wurde vom deutsch-schwedischen Arbeitspsychologen Heinz Leymann zum ersten Mal erwähnt. Dabei wurden 45 Mobbinghandlungen in fünf Bereiche eingeteilt:
Der betroffenen Person steht auch bei Persönlichkeitsverletzungen, wie Mobbing, Rechtsbehelfe nach Art. 28 des Schweizer Zivilgesetzbuches zu. Geklagt werden kann auf Unterlassung, Schadensersatz und bei schweren Fällen auf Genugtuung. Weiter kann eine Anzeige beim zuständigen Arbeitsamt wegen Verstoss gegen das Arbeitsgesetz erstattet werden03.
Wenn das Mobbing vom Arbeitgebenden auf Mitarbeitende ausgeübt wird, spricht man von «Bossing»04. Dies gilt als noch schwerwiegender als Mobbing. Im Gegensatz zu Firmen mit flachen Hierarchien, Teamgeist und Zusammenarbeit kommt dieses unzivilisierte Verhalten vorwiegend in strengen Hierarchien und autoritären Strukturen zum Vorschein. Dies bringt für den Mitarbeitenden eine enorme psychische Belastung und weitreichende Folgen mit sich.
Ausgangspunkt können alltägliche Differenzen sein, die bei Mängeln in der Arbeitsorganisation oder der Führung eskalieren – jede Kleinigkeit, jedes vergessene Detail, jede offenbare Schwäche des Arbeitnehmenden führt zur Kritik und Demütigung. Dann kann der Arbeitgebende auf verschiedenste perverse Kommunikationstechniken und skrupellose Methoden zurückgreifen, um die Mitarbeitenden zu manipulieren, zu verunsichern und ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Mit der Zeit häufen sich die Vorfälle und Schikanen. Dabei kann die Art der Angriffe immer wieder ändern.
Eine andere Form ist die sexuelle Belästigung05. Gesetze schützen die Mitarbeitenden, wie das Gleichstellungsgesetz (GIG), das Arbeitsgesetz (ArG), das Obligationsrecht (OR) und das Strafgesetzbuch (StGB). Gesetzlich ist der Arbeitgebende verpflichtet, ein belästigungsfreies Arbeitsklima zu schaffen. Sie müssen sich darüber bewusst sein, dass Sie bei Belästigung weder dafür verantwortlich noch daran schuldig sind. Teilen Sie der belästigenden Person mit, dass ihr Benehmen weder erwünscht noch toleriert wird. Halten Sie sämtliche Fakten schriftlich fest und verlangen Sie von ihr dieses Verhalten zu unterlassen. Suchen Sie ein offenes Ohr, sprechen Sie mit anderen Mitarbeitenden darüber, so können Sie eventuell besprechen, wie Sie gemeinsam vorgehen möchten.
Nehmen Sie die Situation aber ernst. Sie haben das Recht, sich zu wehren und verfügen über verschiedene Möglichkeiten. Wenden Sie sich ggf. auch an Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros und Rechtsanwälte.
Als Diskriminierung gelten auch Äusserungen und Handlungen, die sich in herabsetzender oder benachteiligender Absicht gegen Angehörige bestimmter sozialer Gruppen richten. In der Bundesverfassung ist im Rahmen der Rechtsgleichheit ein Diskriminierungsverbot festgelegt: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung».
Arbeitgeber sind verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, die den Schutz der persönlichen Integrität ihrer Angestellten gewährleisten. In den gesetzlichen Grundlagen wird jedoch nicht festgelegt, welche Präventionsmassnahmen ergriffen werden müssen. Ein gutes Arbeitsklima durch gegenseitigen Respekt, Vertrauen und eine offene Kommunikations- und Konfliktkultur sind jedoch die beste Prävention.
Dennoch ist im Arbeitsgesetz (Art.6, Abs.1) die Fürsorgepflicht des Arbeitgebenden festgelegt und definiert. Dabei soll die Firmenstruktur so aufgebaut sein, dass sich die Belegschaft respektiert und wertgeschätzt fühlt und bei Bedarf Unterstützung in Anspruch nimmt. Die Geschäftsleitung soll zu einem miteinander würdigen Umgang auffordern und Null-Toleranz gegenüber Persönlichkeitsverletzungen verfolgen. Bei Unterlassung von angemessenen und zumutbaren Schutzmassnahmen des Arbeitgebenden liegt eine Verletzung der Fürsorgepflicht gemäss Art. 328, Abs. 2, OR vor.
Angst, Misstrauen, Einschüchterung, Schikanieren und Konkurrenzdruck sind das Resultat eines abwertenden, intoleranten, diskriminierenden Führungsstils und ruft Demotivation hervor. Ein Arbeitgebender mit einem fragilen Selbstwert handelt nach dem Prinzip von « Zuckerbrot und Peitsche »: Er braucht Sie, gibt Ihnen das Gefühl, die oder der Beste zu sein, unmittelbar danach werden Sie von ihm abgewertet, damit er sich besser fühlt und die Kontrolle über Sie behält. Der Chef oder die Chefin neigt dazu, ihre Mitarbeitende durch perfide, subtile Kränkungen bis hin zu offensivem Anschreien empfindlich zu treffen. Diese perversen Kommunikationstechniken werden oft kaum erkannt. Weitere Konsequenzen im Betrieb sind beispielsweise häufigere und/oder längere Fehlzeiten, Selbstkündigungen, Qualitätseinbussen, Minderleistungen und erhöhte Personalfluktuation. Infolgedessen wird das Arbeitsklima auch entsprechend negativ beeinträchtigt. Selten lohnt es sich, dagegen anzukämpfen – seine Haut zu retten und zu fliehen, ist sinnvoller.
Wenn Sie in einen Konflikt durch bestimmte Handlungen oder Äusserungen von der Geschäftsleitung oder anderen Mitarbeitenden geraten, stellen Sie offene Fragen in der «Ich-Form». Falls trotz Ihrer Bemühungen ein klärendes Gespräch zu keinem Ergebnis führt und diese Handlungen über einen längeren Zeitraum anhalten, informieren Sie sich über rechtliche Schritte und persönliche Handlungsmöglichkeiten, weil Belästigung, Mobbing, Bossing oder Diskriminierung selten von allein aufhören – insbesondere, wenn diese Handlungen selten « Ausrutscher » sind und langfristig anhalten.
Infolgedessen stehen Ihnen spezialisierte Beratungsstellen bei Gewerkschaften, Personalverbänden und Gleichstellungsbüros, aber auch juristisch oder psychologisch ausgebildete Fachpersonen bei Beratungs- und Coaching-Angebote zur Verfügung. Sie können auch die Kantonale Arbeitsinspektion als Vollzugsbehörde des Arbeitsgesetzes über diese Handlungen informieren.
Diese unzivilisierten, inakzeptablen Verhaltensweisen zu ignorieren und jegliche Handlung zu unterlassen, wären für Sie ein gravierender Fehler. Opfer oder Zeuge, wehren Sie sich und nehmen Sie fachkundige Hilfe in Anspruch!